Aktueller Roman

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Kindstod

In einem kleinen Dorf bei Ehingen, nicht weit von Ulm, geht das Leben seinen ruhigen Gang – auch für Polizeioberkommissar Hanno Köberle und seine Oma Dodel, die ihn regelmäßig mit seinen Lieblingsspeisen verwöhnt und darauf hofft, in absehbarer Zeit durch ihn zu einem Urenkel zu kommen Da wird in der Garage der größten Tratschtante im Ort die Leiche eines Neugeborenen gefunden. Die Aufregung ist groß und wird nicht geringer, als am folgenden Tag ein Unfall geschieht, dem die Entdeckung eines grausamen Verbrechens auf dem Friedhof folgt. Das ist aber noch nicht das Ende der tödlichen Vorfälle. Obwohl es nun vorbei ist mit der Beschaulichkeit, bewahrt Dorfpolizist Köberle die Ruhe und geht beharrlich jeder noch so kleinen Spur nach. Eine große Hilfe ist ihm dabei seine Kollegin und Herzensdame Marina Domino, ebenso wertvoll aber das dörfliche, engmaschige Netz der gegenseitigen Beobachtung und Kontrolle. Wer es wie Köberle versteht, mit den Leuten im Dorf zu reden, dem wird so einiges erzählt. Dabei werden manche Geheimnisse vermeintlich ehrbarer Bürger aufgedeckt… auch in dem kleinen dörflichen Kosmos sind alle Spielarten menschlicher Abgründe zu finden. Am Ende gibt es zwar zwei Verhaftungen – aber sind damit tatsächlich alle Schuldigen gefunden?

“Mit Kommissar Köberle hat Walter G. Pfaus einen sympathischen bodenständigen Ermittler geschaffen. Das dörfliche Leben porträtiert er mit liebevoll detailliertem Blick und lässt so die Atmosphäre des schwäbischen Landlebens lebendig werden.”

Seit 18. März 2013 in allen Buchhandlungen erhältlich.

 

 Leseprobe

 

 

Kindstod

Kriminalroman

von

Walter G. Pfaus

 

 

Anfang alles wertvollen geistigen Lebens ist der unerschrockene Glaube an die Wahrheit und das offene Bekenntnis zu ihr.       (Albert Schweitzer)

 

 

 

 

 

Inhaltsangabe:

In einem Dorf bei Ehingen, nicht weit von Ulm, geht das Leben seinen ruhigen Gang, auch für Polizeioberkommissar Hanno Köberle und seine Oma Dodel. Da wird in der Garage der größten Tratschtante eine Babyleiche entdeckt. Wenig später erschüttert ein grausamer Mord das vermeintliche Dorfidyll.

Gemeinsam mit seiner Kollegin und Herzensdame Marina Domino gelingt es Kommissar Köberle, Licht ins Dunkel der verworrenen Geschichte zu bringen. Seinem unerschütterlich humorvollen Blick und dem gesunden Menschenverstand von Oma Dodel bleibt keines der sorgfältig gehüteten Geheimnisse verborgen.

Bleibt die Frage, ob am Ende nicht nur die Richtigen, sondern auch wirklich die Schuldigen gefasst wurden…

 

 

 

1

 

Jetzt ist doch noch was Schreckliches passiert.

Ziemlich genau fünf Jahre bin ich nun Polizeichef im Dorf. Besondere Vorkommnisse hat es in der Zeit nicht gegeben. Vor meinem Antritt als Polizeioberkommissar im Dorf ist allerdings schon mal ein Mord passiert. Damals war ich noch Jungspund in Ehingen. Für Kapitalverbrechen wie Mord war damals die Kriminalaußenstelle Ehingen zuständig. Der Mordfall wurde damals ziemlich schnell aufgeklärt. Ich selbst hatte damit eher weniger zu tun. Eigentlich gar nichts.

Wie gesagt, besondere Vorkommnisse gab es in den letzten Jahren nicht. Was nicht heißt, dass mir langweilig gewesen wäre. Es gab genug zu tun. Streitende Betrunkene, kleine Ladendiebstähle, renitente Rathausbesucher, Störer bei Versammlungen, Streit unter Nachbarn, Verkehrsunfälle und noch einiges mehr.

Nicht zu vergessen die Ehestreitigkeiten, die ein Polizist so im Laufe eines Jahres schlichten muss.

Ja, und dann war da noch die Hufnagel. Sie ist ungefähr so lästig wie Schnaken bei schwüler Hitze. Selbst der Pfarrer sagte mal seufzend: „Sie ist ein Prüfstein in meiner Arbeit als Seelsorger dieser Gemeinde. Aber die Wege des Herrn sind halt unergründlich.“

Mich hat sie offensichtlich besonders ins Herz geschlossen. Sie sorgt ständig dafür, dass ich nicht von der Langeweile erschlagen werde. Eine Anzeige pro Woche ist die Regel. Oft gegen unbekannt. Allerdings gehe ich den wenigsten Anzeigen wirklich nach, weil, man kennt ja die Hufnagel. Die hat schon zwei Jungs angezeigt, weil diese sie erst freundlich gegrüßt und danach hämisch gelacht haben. Was soll man mit so einer Anzeige schon machen? Man wirft sie in den Papierkorb oder geht damit aufs Klo.

Am liebsten habe ich Streitigkeiten auf salomonische Art geklärt. Salomonisch deshalb, weil, die Oma Dodel behauptet immer, sie wäre mit dem Wilhelm Dodel verwandt, der von 1892 bis 1913 in dem schönen Städtchen Blaubeuren als Oberamtsrichter sein „Unwesen“ trieb. Über die Landesgrenzen hinaus war der Dodel berühmt für seine salomonischen Urteile. In Juristenkreisen nannte man ihn den „schwäbischen Salomon“, „Blautopfkretzer“ und vor allem – wie er sich selbst nannte „der Dodel vo Blaubeure“. Weil zur damaligen Zeit das Vieh im Stall fast noch wichtiger war, als die Ehefrau, erfand der Dodel auch noch den „Scharfen Eid“. So manchen Eidpflichtigen ließ er sagen: „Jetzt schwätzet Se mir noch: Wohr isch und i lüg net. So wahr mir sonst mein ganzes Vieh verrecken soll.“

Und weil meine Oma, Katharina Dodel, immer wieder davon erzählt hat, habe ich mir das Büchlein „Dodeldum“, besorgt.  Die Geschichten von Dr. Karl Setz zusammengestellt, haben mir dann so gut gefallen, dass ich das unbedingt auch mal anwenden wollte. Der Erfolg war einfach umwerfend. So umwerfend gut, dass ich es zwischenzeitlich mindestens zehn oder gar schon zwölf Mal angewendet habe.

Als Beispiel nehme ich mal am besten die Geschichte mit dem Richard und der Hufnagel. Die Hufnagel kümmert sich um das eine oder andere Grab auf dem Dorffriedhof, weil die Angehörigen des oder der Verstorbenen weit weg wohnen. Das macht sie, weil der Pfarrer ihr das geraten hat. Dafür bekommt sie von den Angehörigen ein bisschen Geld. Eines Tages kommt sie auf den Friedhof um die Blumen der ihr anvertrauter Gräber zu gießen. Da sieht sie, wie der Richard Mager sich über das Grab der verstorbenen Frau Helfer beugt. In der Annahme, der Richard wollte Blumen klauen, hat sie ihm in ihrer furchtlosen Art aus ihrer Gießkanne Wasser ins Gesicht geschüttet. Nun sollte man annehmen, dass der Richard Anzeige erstattet hätte. Aber falsch. Die Hufnagel hat Anzeige gegen den Richard erstattet. Wegen Beleidigung. Ich habe die beiden in meine Amtsstube gebeten. Der Richard blieb bei seiner Aussage, er hätte die vom Regen heraus gespülte Pflanze wieder in die Erde gedrückt. Plötzlich und völlig unerwartet wäre dann die Hufnagel neben ihm gestanden und hätte ihm Wasser ins Gesicht geschüttet. Daraufhin hätte er ganz anständig zu ihr gesagt, dass sie eine Sau ist.

Ich habe die Hufnagel in meiner salomonischen Art gefragt, ob sie glaubt, dass eine Sau eine Gieskanne halten und damit schütten könne. Was sie natürlich verneinte. Also habe ich ihr geraten, von der Anzeige Abstand zu nehmen. Weil, wenn eine Sau Wasser geschüttet hätte, könne man dagegen gar nichts machen. Wenn aber eine Frau einem Mann Wasser ins Gesicht schüttet, ist das ein tätlicher Angriff und das kann sogar mit Gefängnis bestraft werden. Das hat sie dann eingesehen. Sie ist aus dem Raum gestampft und hat die Tür so zugeschlagen, dass das Bild vom Polizeipräsidenten zu Boden gekracht ist. Noch Tage später habe ich Glassplitter vom Boden aufgesammelt.

Bei meinen Nachforschungen der übrigen Hufnagel-Anzeigen kam nur wenig heraus. Auch nicht bei den Drohbriefen, die sie manchmal bekommt. Meistens wird sie darin nur beschimpft. Wobei Lompamensch, Planschkuah, Schnättergosch, Schnalle und Wetterhex noch die harmlosesten Ausdrücke sind.

Ansonsten geht es im Dorf im Großen und Ganzen recht gesittet zu. Da bleibt natürlich auch nicht aus, dass der eine oder andere schon mal bemerkt: „Du schiebst im Dorf doch eine recht ruhige Kugel.“

Alleine schiebe ich die „ruhige Kugel“ allerdings nicht. Jedenfalls nicht immer. Aber meistens. Weil, mein Kollege Benno Holzer ist oft weg, auf Lehrgängen, Weiterbildung und so. Er hat nicht vor, als Dorfpolizist zu versauern, sagt er immer. Er will weiterkommen, zur Kripo und da am liebsten zur Mordkommission. Also bin ich doch oft alleine. Zur Verstärkung hole ich mir da sehr oft und sehr gern eine Kollegin aus Blaubeuren. Die Marina Domino. Mit der arbeite ich am liebsten zusammen.

Das passt dem Kollegen Haberkorn natürlich gar nicht. Weil, so sagt er, wenn sie bei mir ist, fehlt sie bei ihm. In Kollegenkreisen munkelt man, wir beide, die Marina und ich hätten was miteinander. Woher das Gerücht kommt, wissen wir nicht. Aber ich vermute sehr stark, dass der Haberkorn es in die Welt gesetzt hat. Dass das aber nicht der Wahrheit entspricht, wissen wir beide, die Marina und ich, wohl am besten. Freilich, ich mag sie sehr und sie mich auch. Das merkt man ja als Mann. Doch so richtig zusammen, also intim und so, waren wir noch nicht. Geküsst habe ich sie schon. Mehrmals. Eigentlich sogar sehr oft. Das bleibt ja auch nicht aus, weil, manchmal ist sie einfach zu süß. Mehr war aber noch nicht. Wenn es nach der Marina ginge, wären wir beide längst schon ein Paar. Irgendwann werde auch ich mal so weit sein, wenn ich meine Scheidung und das Trauma mit meiner Mutter verdaut habe. Aber im Moment traue ich mich noch nicht.

Ganz zum Leidwesen von Oma Dodel. Ich habe das Glück, in dem Dorf Polizist zu sein, in dem auch meine Oma wohnt. Oma Dodel ist die beste Köchin weit und breit. Gut, vielleicht liegt es auch daran, dass sie nur das kocht, was ihr Lieblingsenkel gern mag. Dass ich ihr einziger Enkel bin, wiegt natürlich doppelt und dass sie ganz vernarrt in Marina ist, wiegt in dem Fall sogar dreifach.

Also soweit wäre alles in Ordnung. Nur das mit dem Telefon ist nicht in Ordnung. Es klingelt penetrant. Und das frühmorgens um zehn nach neun. Dabei habe ich mir vorgenommen, heute mal länger zu schlafen. Auch dem Polizeichef im Dorf steht das mal zu. Schließlich ist es gestern spät geworden. Sehr spät sogar.

Auch wenn ich gestern Abend nicht richtig im Dienst war. Ein bisschen Dienst war es doch. Weil nämlich der Siegfried Löhle, seines Zeichens erster Vorstand des Schützenvereins, mich gebeten hat, doch als zweiter Vorstand des Vereins zu kandidieren. Dass ich einstimmig gewählt werden würde, davon war er fest überzeugt.

Er konnte allerdings nicht verhehlen, welchen Zweck er mit meiner Wahl zum zweiten Vorsitzenden verfolgte. Obwohl er es nicht offen aussprach, war mir klar: Nicht der Privatmann Hanno Köberle, sondern der Polizist Köberle sollte in den Vorstand gewählt werden. Nach all den Amokläufen in der letzten Zeit, sind die Schützenvereine bei der Bevölkerung in Ungnade gefallen. Vor allem die Sache in Winnenden. Das hat die Menschen aufgewühlt, hat sie fast aggressiv gemacht. Aggressiv im Sinne von: Weg mit den Waffen! Tausende von Menschen im Ländle sind dem Aufruf auch gefolgt und haben freiwillig ihre Waffen bei der Polizei oder auf den Rathäusern abgegeben.

Mit einem Polizisten als zweitem Vorsitzenden hofft der Verein nun, das unverschuldet ramponierte Image wieder aufpolieren zu können. Ich wünsche es dem Verein schon, weil ich ja selber schon seit vier Jahren Mitglied bin.

Die Hufnagel musste natürlich auch ihren Senf dazu geben. „Warum heißen Schützen Schützen, wenn sie nicht schützen sondern schießen?“ hat sie gefragt. Ich habe das an den Löhle weitergegeben und der hat mir dann das Götz-Zitat an den Kopf geworfen, mit der freundlichen Aufforderung, es an die Hufnagel weiterzuleiten. Ich habe das aber nicht gemacht. Dafür habe ich sie bei ihrer nächsten Anzeige einfach ignoriert. Ich habe einen wichtigen Termin vorgeschoben und sie einfach stehen lassen. Das kann sie gar nicht leiden.

Gestern Abend bin ich also tatsächlich einstimmig zum zweiten Vorsitzenden gewählt worden. Danach habe ich viele Hände schütteln und auch viel Wein trinken müssen.

Trotz des viel zuviel genossenen Weines, habe ich überraschenderweise einen klaren Kopf. Der Hiller hat mir das vorher gesagt. Der Hiller Manfred ist für den Einkauf beim Schützenverein zuständig. Er kauft nur guten Wein, hat er gesagt. Nur Württemberger Trollinger oder Trollinger mit Lemberger.

„Und nur von seinem Schwager in Heilbronn“, hat der Löhle grinsend erwähnt.

„Kannst du dich beschweren?“ hat ihn der Hiller fast beleidigt gefragt. „Erstens ist der Wein sehr gut und zweitens bekomme ich noch Rabatt.“

„Den Rabatt hast du uns ja noch gar nicht probieren lassen“, hat der Löhle darauf mit total ernstem Gesicht gesagt. Den Witz hat der Hiller dann nicht verstanden und ist einfach weggegangen. Er ist halt immer schnell beleidigt.

 

2

 

Alles wäre also an diesem Morgen wunderbar gewesen, wenn dieses blöde Telefon nicht so penetrant geläutet hätte. Und wenn ich nicht abgehoben hätte. Aber als pflichtbewusster Beamter nehme ich den Hörer halt doch aus der Station.

Und damit war es endgültig vorbei mit der „ruhigen Kugel“. Von nun an würde im Dorf nichts mehr so sein, wie es einmal war.

„Köberle“, melde ich mich.

„Habe ich dich geweckt, Hanno?“ erkundigt sich der Störenfried. Die Stimme kam mir zwar irgendwie bekannt vor. Aber ich wusste im Moment nicht, wo ich sie einordnen sollte.

„Und wer glaubt, mich geweckt zu haben?“ frage ich deshalb zurück.

„Ich bin es, Max.“

„Max? Max wer?“

„Na, Max.“ Eine Weile war es still. Ich versuche mich zu erinnern, wie viele Max ich kenne. Da fährt er fort: „ Max Hufnagel, der Stille mit der lauten Frau.“

„Ach, du bist es, Max! Tut mir Leid, dass ich dich nicht gleich an deiner Stimme erkannt habe. Aber ich habe eine lange, feuchte Nacht hinter mir.“

„Ja, ich habe schon davon gehört, dass du dich zum zweiten Vorsitzenden des Schützenvereines hast wählen lassen. Du weißt ja, Sie weiß alles und Sie erzählt mir auch alles. Ich wette, du bist einstimmig gewählt worden.“

„Wette gewonnen. Aber deshalb holst du mich doch sicher nicht aus dem Bett. Und sag jetzt bloß nicht, dass deine Frau dich schickt, um eine Anzeige zu machen. Das würde ich dir dann schon sehr übel nehmen. Ich wollte mir nämlich heute mal einen freien Tag nehmen.“

„Den freien Tag wirst du dir ein anderes Mal nehmen müssen. Es liegt ein totes Kind in meiner Garage.“

„Ein totes Kind?“

„Ja. Sieht aus, als wäre es ein Neugeborenes. Ich habe mit so was zwar keine Erfahrung, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das Kind tot ist.“

„Und wie kommt ein totes Kind in deine Garage?“

„Das weiß ich doch nicht.“ Es klingt fast ein wenig ärgerlich. „Komm her und sieh es dir an.“

„Aber da muss ich doch erst die Kripo…“

„Das kannst du auch von hier aus machen“, drängt der Max jetzt. „Ich weiß nicht, wie lange ich die Leute noch von meiner Garage fernhalten kann.“

„Wieso wissen das schon andere Leute? Hat deine Frau wieder…“

„Sie hat doch das tote Kind in der Garage entdeckt. Und dann hat sie geschrien wie am Spieß. Das Geschrei hat schon die ganze Nachbarschaft angelockt und ich fürchte, es werden bald noch mehr kommen.“

„Halt die Stellung!“ befehle ich ihm. „Lass niemanden in die Garage. Ich beeile mich. Aber mit zwanzig Minuten musst du schon rechnen.“

Ich warte erst gar keine Antwort ab, drücke das Gespräch weg und stelle mich kurz unter die Dusche. Dann wähle ich die Nummer der Kriminalaußenstelle Ehingen. Ich stelle auf Lautsprecher. Marion Meggle, die seit einigen Monaten die Anrufe entgegen nimmt, meldet sich.

„Köberle hier“, sage ich, während ich mich anziehe. „Kann ich den Chef sprechen?“

„Ist es dringend?“

„Sehr dringend. Wir haben ein unbekanntes totes Kind im Dorf.“

„Gut, ich verbinde.“

„Köberle!“ dringt kurz darauf die laute Stimme von Moosbauer aus dem Telefon. Moosbauer ist immer so laut. Als Chef muss man so laut sein, hat der Hirnbein mal gesagt. Und der Hirnbein muss es ja wissen, weil er mal Moosbauers Nachfolger werden will. „Was gibt es? Aber machen Sie es kurz. Ich bin gerade in einer wichtigen Besprechung.“

„Wir haben hier ein totes Kind. Jemand hat ein totes Neugeborenes in einer Garage abgelegt.“

„Sind Sie schon vor Ort?“

„Nein, noch nicht. Ich wurde eben erst benachrichtigt.“

„Von wem?“

„Von Max Hufnagel, dem Besitzer der Garage. Seine Frau Luise hat das Kind entdeckt.“

„Könnte sie selbst was damit zu tun haben?“

„Nicht direkt. Eher indirekt.“

„Geht das auch etwas genauer?“

„Das Ehepaar Hufnagel ist kinderlos. Er ist um die sechzig und Frührentner. Sie dürfte im selben Alter sein, also jenseits eines gebärfähigen Alters. Dafür gebärt sie Klatsch in allen Variationen.“

„Dann meinen Sie also, jemand könnte ihr aus Rache das tote Kind in die Garage gelegt haben.“

Schnelle Auffassungsgabe hat er, der Chef, das muss man ihm lassen.

„Könnte durchaus sein“, sage ich. „Sie hat sich im Dorf eine Menge Feinde gemacht. Eine Anzeige pro Woche ist normal. Sie sieht anscheinend alles und weiß alles. Selbst wenn sie Hundescheiße auf dem Bürgersteig sieht, kann sie sagen, von welchem Hund die stammt.“

Ich habe mich inzwischen in meine Uniform gezwängt.

„Na wunderbar“, sagt Moosbauer. „Dann wird sie doch auch wissen, wer ihr das tote Kind untergeschoben hat.“

„Ich fürchte, sie wird glauben, es zu wissen. Nur darf man ihr nicht alles glauben.“

„Köberle, Sie machen das schon.“

„Heißt das, ich kriege keine Unterstützung von euch oder so?“ erkundige ich mich.

„Ich schicke Ihnen die Spurensicherung aus Ulm. Mehr ist im Moment nicht drin. Ihr seid doch schon zu zweit.“

„Ich bin allein“, erkläre ich ihm. „Der Holzer liegt doch im Krankenhaus. Blinddarm.“

„Ach, so was hat der noch?“ witzelt Moosbauer.

„Ich habe so was auch noch“, sage ich.

„Dann müssen Sie eben vorerst ohne den Holzer klarkommen. Dafür haben Sie ja auch noch den Blinddarm.“

Hahaha. Es ist eine wahre Freude, so einen witzigen Chef zu haben.

„Dann leihe ich mir die Domino aus.“

„Die hat Urlaub. Aber das wissen Sie doch.“

„Nein, das weiß ich nicht. Sie hat sich nicht bei mir abgemeldet. Muss sie ja auch nicht. Oder?“

„Dann ist sie auch noch nicht weg“, höre ich den Moosbauer sagen. „Sie wird nicht in Urlaub fahren, ohne Ihnen Bescheid zu geben.“

„Dann glauben Sie also auch, was in Kollegenkreisen so herumfährt“, sage ich.

„Was fährt denn so herum?“ fragt Moosbauer. Es klang, als wüsste er nichts. Aber ich weiß, dass er es weiß und darum werde ich jetzt auch etwas lauter.

„Dass ich mit der Domino was hätte! Das ist durchaus nicht der Fall. Ich schätze sie als verlässliche Kollegin mit Spürsinn, Einfühlungsvermögen und Intuition. Und ich mag sie ja auch, das gebe ich gerne zu. Mehr ist da aber nicht. Sollte jemals mehr daraus werden, informiere ich Sie.“

„Ich habe nichts anderes erwartet.“

„Ich wollte das nur mal gesagt haben. Vielleicht sollte man das mal an die Kollegen weitergeben.“

„Schon gut, Köberle. Darüber reden wir noch.“

„Falls die Domino noch zu Hause sein sollte, bin ich überzeugt, dass sie den Urlaub verschieben wird, wenn ich sie darum bitte. Aber vielleicht wäre es doch besser, wenn Sie mir…“

„Hören Sie, Köberle, wir haben im Moment wirklich einen personellen Engpass. Ich habe selbst Verstärkung aus Ulm angefordert. Ob ich welche kriege, entscheidet sich demnächst. Wir haben doch da den immer noch nicht geklärten Mord an dem Spielhallenbetreiber. Und dann ist da auch noch der Mann, der seine Frau mit einem Messer attackiert und schwer verletzt hat. Aber er streitet alles ab und die Frau ist noch nicht vernehmungsfähig. Es steht überhaupt noch nicht fest, ob sie durchkommt. Zwei Einbrüche sind auch noch zu klären und…“

„Gut, gut, ich mach’s alleine. Bei der Domino fahre ich gleich vorbei. Aber Sie sagen dem Haberkorn Bescheid, sonst macht der wieder einen Aufstand wie beim letzten Mal.“

„Ich rufe ihn an. Köberle, Sie machen das schon. Halten Sie mich auf dem Laufenden.“

Moosbauer legte auf. Ich rufe noch kurz Oma Dodel an, dann besteige ich mein fast nagelneues Dienstfahrzeug.

 

3

 

Ich war schon kurz davor, auf die B492 einzubiegen, als mir einfiel, dass die Marina ja umgezogen war. Sie hat mir auf den Anrufbeantworter gesprochen. „Hallo, Hanno! Marina hier. Wohne jetzt in Ehingen-Berkach, Nelkenweg 28.“ Fertig. Mehr nicht. Und das ohne Vorankündigung. Ich hätte ihr ja beim Umzug helfen können. Aber vermutlich wollte sie das nicht. Ich drehe eine Runde auf dem neuen Kreisverkehr, fahre den Weg zurück und benutze den Schleichweg.

Als ich vor dem Haus Nummer 28 aus dem Wagen steige, fällt mir doch noch ein, dass sie mal nebenbei erwähnt hat, irgendwann umziehen zu wollen. Sie hat aber nicht gesagt wann und auch nicht wohin.

Und jetzt wohnt sie so nah bei mir. Gerade mal drei Kilometer entfernt. Das gefällt mir ausnehmend gut.

Sie öffnet mir im Schlafanzug. „Oh Gott.“

„Hanno. Hanno reicht.“

„Was führt dich so früh am Morgen zu mir?“ erkundigte sich Marina.

„Ist es dir zu früh? Soll ich später wieder kommen?“

„Entweder du machst mir jetzt einen Heiratsantrag oder du raubst mich aus. Für was anderes bin ich noch zu müde.“

„Wie wäre es mit einem Drink?“

„Wenn du nichts Besseres zu bieten hast?“

„Ich lege noch einen Kuss drauf.“

„Nicht mehr?“

„Mittagessen bei meiner Oma.“

„Bei diesem Angebot kann ich nicht nein sagen.“ Marina ist hellhörig geworden. Mein Wunsch nach einem Drink am frühen Morgen, mein unangekündigtes Auftauchen in ihrer neuen Wohnung – es musste etwas passiert sein. Sie macht Platz und ich gehe an ihr vorbei ins Wohnzimmer.

Es ist größer und heller, als das in ihrer vorhergehenden Wohnung in Schelklingen. Die Eckcouch ist ganz neu. Der Fernseher ebenfalls. Ein Bücherregal ist auch noch dazu gekommen. Bis jetzt hatte sie ihre Bücher immer in Kartons aufbewahrt. Nur der schöne Wohnzimmerschrank ist noch derselbe. Marina steht schon vor dem Schrank und hat die Tür zu dem reichhaltig gefüllten Barfach geöffnet. „Trinkst du noch den Schottischen Malt?“

„Immer noch.“

„Aber du bist nicht nur wegen dem Drink gekommen.“

„Nein, wegen dir. Ich wollte dich mal wieder sehen.“

„Lügner. Eigentlich sollte ich dir keinen Drink geben.“ Sie macht die Schranktür wieder zu. „Du hast lange gebraucht, um mich zu besuchen.“

„Du bist umgezogen.“

„Das dürfte nicht neu sein. Ich habe es dir auf deinem Anrufbeantworter mitgeteilt.“

„Ach, du warst das?“

„Wie viele Frauen kennst du, die Marina heißen?“

Ich zählte an den Fingern auf acht. „Eine. Dich.“

„Na, siehst du. Warum bist du nicht früher gekommen?“

„Du weißt auch, wo ich wohne.“

„Ich war noch nie in deiner Wohnung.“

„Ich in der auch nicht. Was ist mit dem Malt?“

„Was ist mit dem Kuss?“

Ich küsse sie sanft auf den Mund.

Sie sieht mich an und wartet darauf, dass noch mehr kommt. Nachdem von mir aber nicht mehr kommt, sagt sie: „Das ist aber nur einen kleinen Drink wert.“

„Mehr darf ich auch nicht. Ich bin im Dienst.“

„Ich nicht. Ich habe Urlaub.“

„Jetzt nicht mehr.“

„Was?“

„Ab sofort bist du im Dienst.“

„Wer sagt das?“

„Ich.“

Marina holte tief Luft. „Polizeioberkommissar Hanno Köberle, du wirst dir doch nicht schon wieder Schwierigkeiten einhandeln wollen.“

„Mit Schwierigkeiten dieser Art lebe ich recht gut.“

„Du brauchst mich wieder mal. Sehe ich das richtig?“

„Das siehst du richtig.“

„Ist Holzer wieder auf Schule?“

„Nein, Krankenhaus. Blinddarm.“

„Oh. Trotzdem…“

„Falls du Bedenken wegen dem Haberkorn hast, das erledigt der Moosbauer.“

„Der Moosbauer ist einverstanden, dass du mich zur Verstärkung anforderst?“ erkundigt sich Marina ungläubig.

„Dem Moosbauer geht es zur Zeit gar nicht gut“, sage ich grinsend. „Viel zu wenig Leute. Urlaub, Krankenstand und einige ungelöste Fälle. Das mag er gar nicht.“

„Und was hast du, dass du mich brauchst?“

„Ein totes Neugeborenes in der Garage von Max Hufnagel. Seine Frau hat das tote Kind entdeckt.“

„Ach du lieber Himmel! Auch noch dieses Klatschmaul. Um den Fall bist du nicht zu beneiden.“

„Wir“, verbessere ich sie. „Wir sind nicht zu beneiden. Ich kann doch mit dir rechnen?“

„Und was ist mit meinem Urlaub?“

„Ich lass mir was einfallen, als Entschädigung. Und jetzt zieh dich schon an. Der Max hat Probleme, die Leute von seiner Garage fernzuhalten.“

Sie geht ins Schlafzimmer. Gleich darauf steht sie nackt im Türrahmen. „Und warum glaubst du, dass ich die Richtige für diesen Fall bin?“

Ich sehe sie einen Augenblick an. Dann halte ich mir die Augen zu und wende mich ab.

„Was ist los?“ fragt Marina harmlos.

„Sieh in den Spiegel, dann weißt du was los ist.“

„Ich weiß was ich sehe, wenn ich in den Spiegel schaue. Ein alterndes Weib mit Orangenhaut auf Hüften und Oberschenkel und hängender Brust.“

„Wirf den Spiegel weg. Er gibt ein falsches Bild von dir. Ich sehe ganz was anderes.“

„Du siehst gar nichts. Du hältst dir die Augen zu.“

„Ich will nicht von deiner Schönheit geblendet werden.“

„Hanno, ich sag’s noch mal: Du bist ein Lügner.“ Ich höre, wie sie ins Schlafzimmer zurückgeht. „Aber du lügst immer an den passenden Stellen.“

„Was ist jetzt mit dem Malt?“, lenke ich ab. Das mache ich meistens, wenn ich mich aus einer für mich kritischen Situation herauswinden will. Natürlich wäre ich jetzt am liebsten zu ihr ins Schlafzimmer gerannt, hätte sie in den Arm genommen und hätte mich mit ihr in ihr noch warmes Bett gelegt.

Aber das kennt man ja. Dann ist nichts mehr so wie es vorher war. Eigentlich wäre mir das ganz recht gewesen, und der Marina sicherlich auch, weil, sonst hätte sie sich mir ja nicht nackt unter der offenen Tür gezeigt. Wir zwei, die Marina und ich ein Paar. Das wäre einfach wunderbar. Oma Dodel würde mir auch um den Hals fallen und die Marina noch mehr verwöhnen, als sie es ohnehin schon tut. Im Moment ist das aber nicht möglich, weil der Max Hufnagel sonst noch lange hätte auf uns warten müssen. Ich öffne die Schranktür zum Barfach und entdecke einen Irischen Malt.

„Hast du schon gesehen?“ ruft Marina aus dem Schlafzimmer. „Ich habe eine neue Malt-Sorte, einen Irischen. Tyrconnell.“

„Ich habe ihn schon entdeckt. Ich kenne ihn. Er ist hervorragend.“

„Ich wusste doch, dass du ihn mögen wirst.“

Ich schenke von dem Whiskys etwas in zwei Gläser und warte.

Nach knapp zehn Minuten kommt Marina angezogen aus dem Schlafzimmer. Sie sieht einfach umwerfend aus. Hübsches, rundes Gesicht, volle Lippen, schwarzes, schulterlanges Haar und braune Augen. Manchmal, wenn mich diese sanften braunen Augen ansehen, beginne ich sofort zu schmelzen. Ich muss dann immer sofort ablenken.

Eines steht fest: Weit und breit kenne ich keine hübschere Polizistin. Wenn ich jetzt nicht in jeder Hand ein Glas gehalten hätte, wer weiß, was dann passiert wäre. Ich weiß nur eines: Irgendwann werde ich ihr zu Füßen liegen.

 

 

 

 

 

Tödliche Machenschaften

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Verbrechen in Ulm

Jetzt schon in der 2.Auflage

Pit Fetzer, Ulmer Privatdetektiv, ist wieder mal pleite. Kein Auftrag weit und breit. Kurzerhand kündigt seine Freundin Kkatrin ihre Stellung und mach sich zu seiner Sekretärin. Und mit ihr kommen die Aufträge. ein anonymer Anrufer beauftragt Fetzer, nach einer vermissten Frau zu suchen. Fast zur gleichen Zeit wird Fetzer angeheuert, einen Ulmer Finanzmakler zu beschützen, der offenbar beroht wird. Fetzer nimmt beide Aufträge an – nicht ahnend, dass ihn das unfreiwillig zum Teilnehmer an einem tödlichen Spiel macht.

Ulm ist die Stadt der sieben Berge. Und sie ist die einzige Stadt in Deutschland, in der es einen Eselsberg und einen Kuhberg gibt. Dazu kommen noch der Galgenberg und der Michelsberg, der Safranberg, der Eichberg und der Rote Berg. Brackmeier wohnte in der Ochsensteige auf dem Eselsberg. Die Fuchsberger, meine Informantin, sagt immer, es gebe neben der Ochsensteige aich einen Ochsenstall. Damit meint sie den Stadtrat, mit dem sie im Clinch liegt.

“Ansprechend und spritzig, gut und leicht zu lesen.”
Schwäbische Post

“Ein überaus spannender und ereignisreicher Privatdetektiv-Krimi.”
deutsche-krimi-autoren.de

Leseprobe

Hempel hob fast sofort ab.
»Hauptkommissar Hempel.«
»Thomas, hier ist Pit. Pit Fetzer.« Meine Stimme hörte sich irgendwie heißer an. »Könntest du sofort in die Fürsteneckerstraße kommen? Man hat mich hier in eine Falle gelockt.«
»Was du nicht sagst«, spottete Hempel. »Habe ich dir nicht immer gesagt, es gibt viele böse Menschen.«
»Thomas, es ist ernst, sehr ernst. Hier liegt eine Leiche.«
»Schon wieder«, stöhnte er. »Sag mal, trägst du die Leichen mit dir herum und legst sie einfach ab, wo es dir gerade gefällt?«
»Der hier wurde ermordet«, sagte ich. »In seinem Rücken steckt ein Küchenmesser.«
Jetzt hatte er begriffen. »Adresse!«
Ich nannte ihm die Adresse. »Beeil dich.«
»Ich bin in zehn Minuten da.« Er legte auf. Ich schaltete das Handy ab, dankte im Geiste meiner umsichtige Katrin und steckte das Gerät in die Tasche.
Im selben Moment stürmte ein Polizist mit gezückter Pistole in den Raum.
»Keine Bewegung!«
Ich hob beide Hände. »Ich bin unbewaffnet.«
Ein zweiter Beamter betrat die Empfangshalle. Er hatte ebenfalls seine Waffe in der Hand.
» Hände an die Wand!«, befahl der erste. » Und zwei Schritte zurücktreten!«
Ich tat, wie mir befohlen. Ohne den Kopf zu wenden, sagte ich: »Ich bin auch erst hier angekommen …«
»Was du nicht sagst?«, höhnte der erste Beamte. »Hast du auch einen Namen?«
»Ich heiße Fetzer. Pit Fetzer. Ich bin Privatdetektiv.«
» Ein Privatdetektiv «, sagte er spöttisch. »Jetzt scheißen wir uns aber gleich vor Angst in die Hose.«
Der zweite Beamte war inzwischen hinter mich getreten und hatte mich abgetastet. »Er ist sauber«, sagte er ruhig.
Der zweite Beamte schien mir der vernünftigere zu sein. Ich drehte den Kopf und wandte mich an ihn. »Kann ich mich jetzt umdrehen?«
Der Beamte nickte. Er war der ältere der beiden. Er mochte etwa fünfzig sein, war mittegroß und hatte ein sympathisches Gesicht mit Schnurbart. Er schien mich zu kennen.
»Ich mache mal mehr Licht, damit wir uns das hohe Tier etwas näher ansehen können«, spottete der erste. Er war um einiges jünger, hatte dichtes, dunkles Haar und ein schmales Gesicht.
»Ich würde aber vorsichtig sein beim Berühren des Lichtschalters, um eventuelle Spuren nicht zu verwischen«, warnte ich ihn.
»Spuren? Von wem? Von dir?«
»Es sind sicher noch andere Spuren vorhanden«, sagte ich. »Hier liegt ein Toter. Er wurde ermordet.«
Ich deutete zum Sessel. Der ältere ging hin. »Ach, du Scheiße!«, stöhnte er, als er den Toten sah. Er wandte sich hastig an seinen Kollegen. »Ruf sofort die Kollegen von der Kripo an!«
»Habe ich schon gemacht«, sagte ich. »Hauptkommissar Hempel ist schon unterwegs.«
Der jüngere Beamte hatte sich den Toten ebenfalls angesehen. »Warst du das?«, schnarrte er.
»Dann wäre ich ganz sicher nicht mehr hier«, sagte ich so ruhig wie möglich.
»Geh raus und ruf in der Leitstelle an. Die sollen uns noch ein paar Kollegen schicken«, sagte der ältere. »Und dann bleibst du an der Tür stehen.«
Er wartete, bis der andere zögernd den Raum verlassen hatte. Dann sagte er: »Sie sagen jetzt am besten nichts, denn alles, was Sie ab jetzt sagen, könnte später gegen Sie verwendet werden.«
»Bin ich festgenommen?«, erkundigte ich mich.
»Das entscheidet dann der Hauptkommissar Hempel. Wenn ich sage, Sie sollten am besten schweigen, dann ist nur zu Ihrer Sicherheit.«
»Ich sage es Ihnen trotzdem. Ich wurde von Frau Kobler für acht Uhr hierher bestellt. Die Tür war nur angelehnt. Auf mein dreimaliges Klingeln und mehrmaliges Rufen hat sich nichts gerührt. Ich bin rein und habe den Toten hier gefunden. Und wieso sind Sie da?«
Er zögerte einen Moment. Dann sagte er: »Uns wurde ein Einbrecher gemeldet.«
»Na, sehen Sie«, sagte ich aufatmend. »Dann ist ja wohl alles klar.«
»Nichts ist klar. Wir haben Sie hier mit einem Toten angetroffen. Der Mann ist offensichtlich ermordet worden.«
»Macht es mich weniger verdächtig, wenn ich Hempel selbst angerufen habe?«
»Nicht wirklich«, sagte der Beamte.

 

 

 

 

 

 

Das Ideale Mörderpaar

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Das ideale Mörderpaar (Neuauflage August 2009)

Leseprobe

Die Stunde, in der ich sie töten würde, rückte näher. Und je näher diese Stunde kam, desto ruhiger und entschlossener wurde ich.

Es würde leicht sein. Mein Plan war perfekt. Ich hatte nichts dem Zufall überlassen. Jede Kleinigkeit hatte ich berücksichtigt. Ich war sicher, dass ich nichts übersehen hatte.

Ich stützte mich auf die Ellenbogen und betrachtete ihr Gesicht. Sie schlief tief und fest. Ihr Mund war leicht geöffnet, und über ihre Lippen drangen leichte Schnarchtöne. Sie war sehr glücklich; das sah man. Nur glückliche und zufriedene Menschen können so tief und fest schlafen.

Ich beneidete sie um dieses Glück. Ja, ich hasste sie sogar deswegen.

Und plötzlich war mir wohler. Jetzt würde alles noch viel leichter gehen. Hass ist der beste Antrieb für einen Mord.

Während meiner langen Vorbereitungszeit hatte ich mir oft die Frage gestellt, ob ich sie so einfach töten könnte. Denn im Grunde hatte sie mir ja nichts getan. Abgesehen von der Tatsache, dass sie da war, dass sie immer um mich herum war und dass ich ihre Gegenwart kaum ertragen konnte. Aber jetzt wusste ich, dass ich es konnte. Es würde mir nicht schwerfallen, sie kaltblütig umzubringen.

Erleichtert atmete ich auf. Dies war der einzige schwache Punkt in meinem Plan gewesen. Nun war auch er beseitigt.

Ich schlug die Bettdecke zurück und stand auf. In meinem Koffer war eine Flasche Whisky. Ich schraubte sie auf und goss ein halbes Wasserglas voll. Der Whisky tat mir gut. Ich trat ans Fenster und schob die Vorhänge auseinander. Draußen wurde es langsam hell. In einer Stunde würde die Sonne aufgehen, und eine Stunde später würden wir das Frühstück einnehmen.

Und dann wird sie höchstens noch zwei Stunden leben, dachte ich. In keinem Fall länger. Sie wird tot sein – und ich um eineinhalb Millionen reicher.

Ich warf einen Blick auf das Bett. Sie hatte sich jetzt auf den Rücken gedreht und ihr Schnarchen war lauter geworden.

In Gedanken ging ich noch einmal meinen Plan durch. Ich überprüfte noch mal die kritischen Stellen. In allen Variationen stellte ich mir vor, was auf mich zukommen könnte. Aber ich fand nichts, was ich hätte besser machen können. Ich hatte ganze Arbeit geleistet, jedenfalls bis jetzt. Und nun, nachdem ich bemerkt hatte, dass ich sie sogar hasste, war ich sicher; auch dieser letzte, sicherlich schwierigste Teil meines Plans würde reibungslos verwirklicht.

Ich setzte mich an den kleinen Sekretär, der in unserem Zimmer stand, und zog die Versicherungspolicen heraus. Die Beiträge kosteten mich mein letztes Geld. Unser Haus war ohnehin schon mit drei Hypotheken belastet, und um unser Geschäft vor dem Zusammenbruch zu retten, hatte ich einen Wechsel unterzeichnet, der in drei Wochen fällig wurde. Ich steckte bis zum Hals im Dreck. Wer jemals unter dem Druck eines Viertel-Millionen-Wechsels stand, der weiß, wie einem da zumute ist. Vor allem, wenn man das Geld nicht hat.

Ich hatte es nicht.

Um über den Berg zu kommen, brauchte ich unbedingt eineinhalb Millionen. Aber in weniger als vier Stunden würde ich es geschafft haben. Die größte Hürde war dann genommen. Was mich danach noch von den 1,5 Millionen trennte, waren Formalitäten. Natürlich, ich brauchte gute Nerven. Aber die glaubte ich zu haben. Jedenfalls war ich davon überzeugt, dass ich die Sache durchstehen würde.

Ich las die Policen zum wiederholten Male durch, Wort für Wort, vor allem das Kleingedruckte. Zuerst die Lebensversicherung. Sie war auf Gegenseitigkeit abgeschlossen und lautete auf 600.000 Mark. Bei Unfalltod erhöhte sich die Versicherungssumme auf das Doppelte. Und sie würde durch einen Unfall ums Leben kommen, dafür hatte ich gesorgt. Vier Monate harte, nervenaufreibende Planung waren notwendig gewesen; jetzt aber war alles vorbereitet.

Die Police war in Ordnung. Es gab nichts daran auszusetzen. Ich hatte sämtliche Krankheiten angegeben, so dass es auch in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten geben konnte.

Ich schob die Unterlagen der Lebensversicherung beiseite und nahm die Unfallpolice in die Hand. Sofort fiel mein Blick auf einen bestimmten Passus in diesem Vertrag.

Die Todesfallsumme darf die Invaliditätssumme nicht überschreiten, stand darin. Von neuem stieg der Ärger in mir hoch. Um die noch fehlenden 300.000 DM zu erhalten, war ich gezwungen, eine Versicherung über ebenfalls 600.000 DM abzuschließen. Aber ich beruhigte mich schnell wieder. Die 1.5 Millionen würden mich sehr bald für allen Ärger entschädigen.

Ich steckte die Policen in die Mappe. Danach legte ich sie nicht mehr in den Sekretär, sondern verstaute sie gleich in der Aktentasche, die neben dem Schreibtisch stand. Wenn alles vorüber war, durfte ich sie nicht vergessen. Schließlich waren diese beiden Schriftstücke das Wichtigste an meinem Plan.

Ich schob den Stuhl zurück und stand auf.

Der Stuhl verursachte so viel Lärm, dass Johanna aufwachte. Sie blinzelte, stützte sich auf die Ellenbogen und sah mich an. „Du bist schon auf?“ fragte sie mit verschlafener Stimme.

„Kümmere dich nicht um mich“, antwortete ich leise. Ich versuchte, meiner Stimme einen zärtlichen Klang zu geben. Es gelang mir nur mäßig. Aber ich glaube nicht, dass sie es merkte. „Schlaf weiter, Liebling. Wir haben noch fast zwei Stunden Zeit bis zum Frühstück.“

Sie ließ sich ins Kissen zurücksinken und rekelte sich wohlig. „Wenn du nicht mehr schläfst, will ich auch nicht mehr schlafen.“ Sie gähnte.

Blödes Frauenzimmer, dachte ich. Aber ich blieb freundlich. „Ich weiß doch, dass du morgens länger schlafen möchtest“, sagte ich sanft. „Ich bin ein Frühaufsteher, auch im Urlaub. Du musst dich nicht nach mir richten. Schlaf weiter; es wird dir gut tun. Wir haben einen anstrengenden Tag vor uns.“

Johanna gähnte wieder und schüttelte den Kopf. „Nein, jetzt bin ich schon wach. Ich kann doch nicht mehr einschlafen.“

Sie setzte sich auf und lächelte mich an. Ich ging zu ihr, legte die Hände auf ihre Schultern, küsste sie auf die Stirn. „Es ist fünf Uhr morgens“, erklärte ich. „Selbst hier, auf dieser Insel in der Karibischen See, steht kein Mensch um diese Zeit auf.“

Ich wollte allein sein um noch etwas nachdenken zu können. Man begeht schließlich nicht jeden Tag einen Mord. Aber Johanna wollte jetzt nichts mehr vom Schlafen wissen.

„Du bist so lieb.“ Sie schlang die Arme um meinen Nacken. „Noch nie in meinem Leben hat sich jemand so um mich gesorgt wie du.“

Sanft schob sie mich zurück und stieg aus dem Bett. Dann schlüpfte sie mit einer schnellen, gleitenden Bewegung aus ihrem kurzen Nachthemd und ging zur Badezimmertür.

 

 

 

Bisherige Romane

  • 2013
    Kindstod (ab März 2013 erhältlich)
    Silberburg Verlag (mit Hanno Köberle)
  • 2008
    Tödliche Machenschaften
    Emons Verlag (mit Pit Fetzer)(kann noch beim Autor bestellt werden)
  • 1995
    Die Ulmer Erbschaft (mit Pit Fetzer)
    Bastei 19599.A.(kann noch beim Autor bestellt werden)
  • 1994
    Die Kleinen hängt man

    Bastei 19590 O.A.(kann noch beim Autor bestellt werden)
  • 1986
    Kleinstadtklüngel
    Bastei 19501 O.A.(vergriffen)
  • 1986
    Tote mit Lebenswandel

    Bastei 37046 O.A. (mit Kommissar Hämmerle) (vergriffen)
  • 1985
    Denkzettel für Julia

    Bastei 37049 O.A.(vergriffen
  • 1984
    Leiche auf Abwegen

    Droemer-Knaur 4953 O.A. Mit Kommissar Hämmerle. (vergriffen)
  • 1983
    Das letzte Hemd hat viele Taschen

    Droemer-Knaur 4945 O.A.(vergriffen)
  • 1982
    Das Ende einer Musterfrau

    Bastei 36057 O.A.  (vergriffen)
  • 1981
    Blindekuh

    Bastei 36052 O.A.(vergriffen)
  • 1981
    Der Teufel hat die Hand im Spiel

    Bastei 36046 O.A.
    (dritter Preis beim Manuskript-Wettbewerb um den Jerry Cotton Preis 1980. Vergriffen.)
  • 1979
    Liebe ist auch ein Gift

    Bastei 36027 O.A.(vergriffen)
  • 1977
    Das ideale Mörderpaar

    Bastei 36002 O.A.(vergriffen)